München - Das Leben Margarethe von Trottas verläuft, wie das so vieler Künstler und Künstlerinnen, unstet. Sie pendelt zwischen den Welten, ist unbehauste Wanderin, ist Heimatlose. Ihr Leben fokussiert sich auf drei Städte, die ihre Wanderschaft auch geografisch nachhaltig prägen: München, Rom, Paris.
Margarethe von Trotta wird 80: Wandern ein Leitmotiv auf ihrem Lebensweg
In Berlin, ihrer Geburtsstadt - dort kam sie am 21. Februar 1942 vor achtzig Jahren zur Welt - hat sie nur wenig Zeit mit ihrer Mutter Elisabeth verbracht. Auch die Mutter ist eine Heimatlose baltischer Herkunft. "Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus" - der Müller'sche Vers aus der "Winterreise", von Schubert vertont, könnte auch auf das Leben der Margarethe von Trotta übertragen werden, leitmotivisch zieht sich das Wandern durch ihren Lebensweg.
2018 entsteht ihr erster Dokumentarfilm: "Auf der Suche nach Ingmar Bergman"
Bald schon geht die junge Margarethe in Düsseldorf zur Schule, lebt im Rheinland, ohne dort wirklich zu Hause zu sein, ohne dort zu verwurzeln. Schulabschlüsse und Schauspielschule - es beginnt die Schule des Sehens, die Leidenschaft für das Kino ist bei ihr entfacht.
Bald schon begegnet sie "ihren" Regisseuren - erst auf der Leinwand, dann im Leben: Ingmar Bergman und Alfred Hitchcock, aber auch denen der französischen Nouvelle Vague, Truffaut, Chabrol und all die anderen. Es sind Begegnungen, die sie prägen werden, ihr Leben lang, bis heute. Jahrzehnte später, 2018, dreht sie ihren ersten Dokumentarfilm, es ist zugleich ihr 25. Film: "Auf der Suche nach Ingmar Bergman".
Margarethe von Trotta: "Eine lange Geduld" auf dem Weg zur Regisseurin
Paris, es ist wie eine dramaturgische Klammer, ist heute eine der beiden Städte, in denen sie lebt. Die andere ist München. Damals, in den Sechzigern, konnte sie mit den Augen der ewigen Studentin den französischen Autorenfilmern über die Schulter sehen, tastete sich in Bilderwelten vor, die sie später einmal selbst gestalten wird: "Den Wunsch, Regisseurin zu werden, hatte ich sehr früh, schon Anfang der 60er Jahre. Geworden bin ich es aber erst 1977. Eine lange Zeit, eine lange Geduld."
Margarethe von Trotta: Herausragender Ruf als Autorenfilmerin
Diese Ausnahme-Regisseurin, der es ähnlich wie ihren deutschen Kollegen und Kolleginnen in ihrer Heimat nie besonders leicht gemacht wurde, genießt im Ausland, in Italien und Frankreich insbesondere, sowie in den USA, als Autorenfilmerin einen herausragenden Ruf.
So nimmt es nicht wunder, dass sie auch sieben Jahre in Rom lebt und arbeitet - drei Filme entstehen in den Jahren 1987 bis 1993: Neben der Tschechow-Verfilmung "Fürchten und Lieben" (1988) und "Die Rückkehr" (1990) ist es das packende, auf dem Filmfest München seinerzeit aufgeführte Mafia-Drama "Zeit des Zorns" (1994), das in Italien entsteht und zu ihren dichtesten Arbeiten zählt. Niemand Geringeres als Ennio Morricone komponiert die Musik für diesen Italien-Film.
"Das Zweite Erwachen der Christa Klages" (1978) ist die erste autonome Arbeit der damals 35-jährigen Regisseurin. Sie ist nun nicht mehr die Co-Autorin ihres damaligen Mannes und Arbeitspartners Volker Schlöndorff, seine Co-Regisseurin, seine Schauspielerin ("Strohfeuer", 1972; "Der Fangschuss", 1976), oder die Schauspielerin aus Filmen von Herbert Achternbusch ("Das Andechser Gefühl", 1975) oder Fassbinder ("Der amerikanische Soldat", 1970).
Margarethe von Trotta: Internationaler Durchbruch mit "Die bleierne Zeit"
Im Haus des bei Schlöndorff-Filmen meist co-produzierenden Fernsehsenders, des Hessischen Rundfunks, wird sie zuvor erstaunt gefragt, warum sie denn nun auf einmal Regie führen wolle. Sie könne doch wie gehabt die Hauptrolle übernehmen, könne auch am Drehbuch mitschreiben, die Regie aber überlasse sie bitte besser wieder ihrem Mann.
Margarethe von Trotta ist anderer Meinung. Sie versucht es daraufhin beim WDR, mit dem zusammen zuvor die Böll-Adaption "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1975) produziert wurde, bei der sie co-inszenierte. Schlöndorff verpflichtet sich, ohne das Wissen seiner Frau, im Falle etwaiger Komplikationen bei "Christa Klages" die Regie zu übernehmen. Das beruhigt die Herren vom WDR.
"Die bleierne Zeit" (1981) verschafft ihr nach den ersten beiden Filmen den internationalen Durchbruch. Die Regisseurin beschreibt die Situation beim Filmfestival in Venedig so: "Der Film lief damals als einer der letzten. Daher war ich eigentlich ganz abgeklärt, überzeugt, ich habe keine Chance. Und dann plötzlich dieser Aufruhr. Der Film wurde mit Preisen nur so überschüttet, und mit einem Mal war ich international bekannt. Das kam alles so überraschend, dass ich gar nicht überlegen konnte, was es bedeutet."
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"Die bleierne Zeit": Ein Film über das Erinnern
Von Trotta selbst bezeichnet "Die bleierne Zeit" als eine Synthese ihrer ersten beiden Filme: Nach der Bestandsaufnahme äußerer Befindlichkeiten in der Bundesrepublik in "Das zweite Erwachen der Christa Klages" folgt der konzentrierte Blick auf das Innenleben, auf die Gefühle, die wiederum mit davon abhängen, was wir in der Gesellschaft wahrnehmen: "Schwestern oder Die Balance des Glücks" (1979). "Die bleierne Zeit" vereint beide Ebenen in sich, das Innen und das Außen.
Überhaupt ist der Wechsel zwischen Seelischem und Sichtbarem in diesem Film explizit dargestellt. Einem Film, in dem der Mief unter der Glocke der fünfziger Jahre ebenso in Rückblenden eingefangen wird wie die wachrüttelnde Umbruch-Stimmung der 68er und die vom RAF-Terror gebeutelte Bundesrepublik der späten 1970er Jahre. Ein Film über das Erinnern, über das Nicht-unter-den-Teppich-Kehren. In den 1980er Jahren setzt Margarethe von Trotta das Changieren zwischen Privatem und Politischem konsequent fort, ihr schnörkelloser Stil ist dabei stets zurückgenommen und unaufgeregt.
"Rosa Luxemburg" nimmt von Trotta wie kein anderes Projekt mit
"Das Allgemeine und das Individuelle lagen stets beieinander", erklärt sie: Auf "Heller Wahn" (1983), einer kleinen privaten Geschichte einer Frauwerdung, einer Befreiung, mit Angela Winkler und Hanna Schygulla, folgt ein historisches Thema: "Rosa Luxemburg" (1986). Kein lineares Biopic, vielmehr ein facettenreiches, visuell starkes Kaleidoskop unterschiedlichster Lebenssituationen. Sie habe keinen Geschichtsunterricht geben wollen, auch zeige sie nicht die einzig wahre Rosa, sondern nur eine wahre.
Den Mythos Rosa Luxemburg kann von Trottas Film nicht entmystifizieren, so ist es nur folgerichtig, dass die Regisseurin bei ihrer Rosa bleibt, der sie nahe kommt, ohne sie zu banalisieren. Der Ambivalenz dieses waghalsigen Unterfangens ist sich die Regisseurin von Anfang an bewusst, außer dem Mauer-Film "Das Versprechen" (1995), seinerzeit Berlinale-Eröffnungsfilm, nimmt sie kein anderes Projekt derart mit, dauern die Produktions-Vorbereitungen, die Arbeit am Drehbuch, derart lange.
Ihr Film über die Mauer kam vielleicht zu früh
"Das Versprechen", in Berlin sowie in Potsdam-Babelsberg entstanden, markiert letztlich die Rückkehr von Trottas aus Rom nach Deutschland. Die Idee zu dem Berliner Projekt kommt wieder von außen: Der italienische Produzent Francesco Laudatio macht ihr angesichts der aktuellen Ereignisse in Deutschland den Vorschlag, einen Film über den Fall der Mauer zu drehen, auch über die knapp dreißig Jahre, die seit dem Bau im August 1961 vergangen sind. Die kritische Aufnahme dieses Films ist schwierig, ist zwiespältig: Ein Film über die Mauer, der vielleicht zu früh kam.
Ihr Wunschprojekt über den 1943er Frauenaufstand in der Berliner Rosenstraße kann von Trotta 2002 endlich realisieren. Das Drama fügt sich nahtlos in die Arbeit von Trottas ein - nahezu jeder ihrer Filme reflektiert Vergangenheit, individuell als auch politisch.
Aus dem passiven Warten entwickelte sich ein aktiver Protest
Vor dem authentischen Hintergrund des Frauenaufstands zwischen dem 27. Februar und dem 6. März 1943 in der in Berlin-Mitte gelegenen Rosenstraße greift der Film verschiedene Einzelschicksale auf: Deutsche Frauen, die mit jüdischen Männern verheiratet waren und sich vor dem Gefängnis in der Rosenstraße versammeln, um beharrlich auf die Freilassung ihrer von Deportation bedrohten Männer zu warten - tagelang, nächtelang, zur Zeit der schlimmsten Bombenangriffe.
Aus wenigen Frauen wurden etliche Hunderte. Aus dem passiven Warten entwickelte sich ein aktiver Protest, ein Aufschrei der Empörung - ein Akt der Solidarität. Die Männer kamen am Ende, mitten im Krieg, tatsächlich frei. "Rosenstraße", in breitem Cinemascope gedreht, ein Liebes- und Geschichtsdrama, im September 2003 auf den Filmfestspielen von Venedig im Wettbewerb uraufgeführt, wird zu einem der erfolgreichsten Filme in von Trottas Regie-Karriere.
Barbara Sukowa: Beliebte Protagonistin in von-Trotta-Filmen
Die Spielfilme "Ich bin die Andere" (2006) und "Vision - Aus dem Leben der Hildegard von Bingen" (2009) sind zwei Frauen-Porträts, ein zeitgenössisches und ein mittelalterliches, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Was daraufhin folgt, ist - neben anderen Filmen, die in diesem Jahrzehnt entstehen - wahrscheinlich ihre wichtigste und eindringlichste Arbeit der 2010er Jahre: "Hannah Arendt" (2012). Das Denken filmen.
Die Philosophin und Denkerin wird verkörpert von Barbara Sukowa, zum sechsten Mal ist Sukowa die Protagonistin in einem Film von Trottas. Und auch Hannah Arendt war eine Unangepasste, eine Unbequeme. Eine Frau, bei der Privates und Politisches miteinander einherging. Eine, die der Welt Margarethe von Trottas - die seit nunmehr fünfundvierzig Jahren Filme macht und derzeit ihren nächsten für 2023 vorbereitet - ganz entspricht.